Tagblatt Online: 17. November 2015

IDA SANDL

 

Für Rehan Neziri, den Imam der Albanisch-Islamischen Gemeinschaft Kreuzlingen, ist der Koranunterricht an öffentlichen Schulen eine wirkungsvolle Prävention gegen Radikalisierung.

 

Rehan Neziri ist Imam der Albanisch-Islamischen Gemeinschaft in Kreuzlingen. (Bild: Nana do Carmo)

 

Herr Neziri, haben die blutigen Anschläge in Paris die Situation für Moslems verschlechtert?

Rehan Neziri:Für uns ist die Situation sehr schwierig. Wir sind schockiert und sprachlos über diese Anschläge. Es ist furchtbar für mich, wenn im Namen meines Gottes unschuldige Menschen getötet werden.

Konnten Sie in der Moschee bereits darüber reden?

Neziri:Das Freitagsgebet fand vor den Anschlägen statt. Am Samstagabend hatten wir einen Vortrag. Da haben wir auch über die Terrorakte von Paris geredet. Unser Mitgefühl gilt all jenen, die Angehörige verloren haben.

Was können Sie als Imam in einer solchen Situation tun?

Neziri:Ich kann nur weitergeben, was der Islam wirklich ist und will. Der Islam ist keine Religion des Terrors. Am Samstag habe ich den Kirchen in Kreuzlingen, die zum Tisch der Religionen gehören, ein Mail geschickt. Ich habe ihnen meine Trauer über die Anschläge mitgeteilt und sie gebeten, diese Botschaft an ihre Gemeinden weiterzuleiten.

Wie waren die Reaktionen darauf?

Neziri:Man hat mir versichert, dass man differenzieren könne und keinen kollektiven Schuldspruch gegen Moslems fällen werde. Das hat mich gefreut.

Der IS hat keine Anhänger in Ihrer Gemeinde?

Neziri:Auf gar keinen Fall. Jeder bei uns verabscheut die Greueltaten. Der IS findet bei uns keine Sympathie. Weltweit haben rund 120 Islamgelehrte einen offenen Brief an Al Baghdadi, den Führer des selbsternannten Gottesstaates, und seine Isis-Kämpfer geschrieben. Der Brief ist im Internet publiziert.

Was steht darin?

Neziri:Darin steht zum Beispiel, dass es im Islam verboten ist, Christen in jeder erdenklichen Art zu schaden, dass es im Islam verboten ist, Unschuldige zu töten, und dass es im Islam verboten ist, Menschen zu foltern.

Es gibt in der Region Moscheen, in denen junge Menschen sich radikalisieren. In Winterthur zum Beispiel oder in Rorschach?

Neziri:Ich kenne in Winterthur zwei albanische Moscheen, dort passiert so etwas sicher nicht. Ich glaube, dass sich Menschen sehr selten in Moscheen radikalisieren. Wer sich radikalisieren will, geht nicht in eine Moschee und redet nicht mit dem Imam. Dann müsste er sich der Diskussion stellen und seine einfachen Wahrheiten in Frage stellen.

Dann wissen die IS-Kämpfer also wenig über die Religion, in deren Namen sie töten?

Neziri:Sie wissen eigentlich so gut wie nichts über den Islam.

Was denken Sie, ist die Schweiz gefährdet, zum Ziel von Terroranschlägen zu werden?

Neziri:Ich hoffe von ganzem Herzen, dass so etwas nicht hier passiert. Ich denke auch nicht, dass die Schweiz sehr gefährdet ist. Das liegt sicher auch an ihrem guten Bildungssystem. Hier bekommen Jugendliche viele Chancen, aus ihrem Leben etwas zu machen. Das ist ein guter Schutz gegen Radikalisierung. Manche Prävention schiesst aber auch übers Ziel hinaus.

Welche meinen Sie?

Neziri:Das Bemühen, Menschen nach ihrem Bart oder Aussehen in Kategorien einzuteilen. Es gibt auch sehr moderate Moslems, die einen Bart tragen.

Sie reden vom Jihadisten-Merkblatt der Polizei. Was wäre in Ihren Augen eine gute Prävention?

Neziri:Ich halte den Islamunterricht an öffentlichen Schulen für eine sehr gute Prävention. So, wie wir ihn in Kreuzlingen und Wil erteilen, in Zusammenarbeit mit dem Schulleiter und der Schulbehörde.

Warum?

Neziri:Die Schüler lernen den Islam kennen. Es ist schwer, dann zurückzugehen zu dem einfachen Bild der IS-Kämpfer. In Kreuzlingen besuchen etwa 80 Prozent der moslemischen Kinder den Islamunterricht. Wir erreichen aber auch die Eltern und können auf sie einwirken.

Was macht Ihnen in Zusammenhang mit den Anschlägen Angst?

Neziri:Dass die Moslems jetzt pauschal diskriminiert werden. Darum ist es so wichtig, dass wir miteinander reden.

Wo sollen solche Gespräche stattfinden?

Neziri:Überall. Wer Fragen hat, kann gerne zu uns in die Moschee kommen. Wir sind jederzeit zum Gespräch bereit, wenn jemand offen ist. Das ist uns wirklich sehr wichtig. Gemeinsam sind wir stärker im Kampf gegen den Terror.