Heimat ist dort, wo wir nicht zu unserer Herkunft befragt werden. Wir besitzen mehrere Heimaten: eine geografische, wo wir auf die Welt gekommen sind, eine kulturelle, wo wir sozialisiert sind und eine religiöse, wo wir uns spirituell zu Hause fühlen…

Die Zugehörigkeit als Grundbedürfnis des Menschen spiegelt sich auch im Religionsbereich wider. Im 20. Jahrhundert meinte man noch, die Religion sei weg. Sie ist aber da. Was sich verändert hat, ist ihre praktizierte Form und der Markt der Religionen als Folge der Globalisierung. Religion wird nicht mehr nur in einer Kirche oder Moschee gelebt, sondern vielmehr im privaten Umfeld, am Arbeitsplatz, im Fussballstadion («Schalke ist meine Religion»), in der Diskothek, wo die jungen Menschen in Ekstase versetzt werden, auf Brücken, wo das öffentliche Zelebrieren von Liebe als Religion gelebt wird. Auch grosse Unternehmen, die mission statements verfassen, corporate identity bilden und compliance zu praktizieren versuchen, sind davon nicht ausgeschlossen.

Weltweit sind wir mit Exklusionen aus den Wirtschafts-, Bildungs- und Rechtssystemen konfrontiert. Gerade hier hat die Religion als Teilsystem die Möglichkeit, diese Ausgrenzungen zu minimieren. Eine Exklusion aus der Religion schliesst nicht - wie noch im Mittelalter – den Ausschluss aus der Gesellschaft aus. Umgekehrt können Beinahe-Exklusionen aus anderen Funktionssystemen – kein Geld, keine Ausbildung, kein Ausweis, keine Chancen – von der Religion souverän ignoriert werden. Man spricht von einer Weltkrise des Vertrauens. Hier sehe ich die Aufgabe der Religionen, Systemvertrauen zu entwickeln und die Lebenshoffnung wieder herzustellen.

 

Rehan Neziri

Imam & Religionslehrer

 

Quelle: www.schulblatt.tg.ch/documents/avtg_schulblatt_3_2018_web.pdf, S. 14